Band: |
HEL |
Titel: |
Das Atmen der Erde |
Genre: |
Epic Pagan Metal |
Label: |
Eigenpressung |
Punkte: |
10 / 10 |
Die Wartezeit auf ein neues Album wollte schier kein Ende mehr nehmen,
doch jetzt melden sich Hel nach ihrem 2007er Langspiel- Genuss
„Tristheim“ endlich mit einem neuen Werk zurück. Erscheinen tut es in
erfreulich geschmackvoll aufgemachter Digipak-Edition. Im inkludierten
Begleitheft sind sämtliche Lyriken neben wunderschönen, auffallend
stimmig kolorierten Natur-Fotografien abgedruckt. So gilt es jetzt, und
zwar vornehmlich für seriös empfindende Hinhörer, 65 immens gehaltvolle
Minuten an extravaganter und gefühlsbetonter Heiden-Tonkunst in vollen
Zügen zu genießen. Nein, für oberflächliche Trend-Fans und
Mode-Düstermetaller hat das bis in die Haarspitzen ehrlich ambitionierte
Trio aus Lüdenscheidt in Nordrhein-Westfalen „Das Atmen der Erde“ nun
wirklich nicht auf diese Compact Disc gebannt. Das sind Lieder für
manische Individualisten, für feinfühlige Liebhaber des Genres! Und „Das
Atmen der Erde“ ist in stilistischer Hinsicht gesehen schon ein
kräftiges Schnauben. Denn so dermaßen hochgradig eigenständig, so
grenzenlos beseelt und so immens inniglich ist dieses durch und durch
ästhetisierte Manifest der naturverbundenen Leidenschaften geworden.
So liegt ein mich zutiefst berührendes neues Hel-Werk vor, in dem ich
mit Leichtigkeit vollkommen versinken kann. Wenn ich den wirklich
grandiosen, knapp sechsminütigen Opener „Wo die Tannen thronen“ höre,
breitet sich unermessliche Glückseligkeit in mir aus. Die Gitarrenarbeit
darin könnte homogener und niveauvoller für diese Art von Musik nicht
sein. So erinnert mich diese prächtig melodische und wunderbar episch
arrangierte Naturliebhaber-Hymne in zutiefst berührender Weise fatal an
den Jahrtausend-Song „Gods To The Godless“ vom mächtigen 2000er
Primordial-Album „Spirit The Earth Aflame“, wobei ich ebenfalls immer
wieder in genau dieselbe Stimmung gerate. Ich sehe mich nämlich auch
dabei imaginär an einem hohen schroffen Steilhang nackt im stürmischen
Gewitterregen stehen, die Fäuste geballt zum Himmel ausgestreckt und
beschwörend gellend nach spiritueller Verbrüderung mit Übermutter Natur
schreiend. Um solcherlei spektakulär großartige und derlei vollauf
packende Atmosphären zu erlangen, muss man sich der eigenen Notenkunst
schon in aller Selbstvergessenheit hingeben!
Anschließend legen Hel ihre musikalische Version von wahrem „Wagemut“
dar, erneut im Midtempo majestätisch gehässig inszeniert, klingen hierin
in knapp vier tollen Minuten willkommene Reminiszenzen an Falkenbach
durch; auch, was die dezente Tastenarbeit anbelangt. Melodisch thront
auch dieser ebenso hungrige wie stimmungsvolle Seelenschlürfer wahrlich
über allen Dingen, mit hörbar intuitiv vertonter Melancholie und
unstillbarer Sehnsucht. „Von Reiter und Flutross“ kommt fein beschwingt
und flüssig treibend daher, eröffnet mit ergreifendem Klargesang und
erhebenden Männerchören. Prägnante Double Bass-Akzente koalieren perfekt
mit der einnehmenden Melodieführung der Gitarren. Galoppierende
Rhythmik von famos pumpender Erscheinung kennzeichnet eine wichtige
Facette dieser ungemein schöngeistigen Komposition. Lieder wie dieses
kann man tausende Male hören, ohne jemals genug davon zu bekommen.
Verträumte Nuancen, auch lyrischer Natur, krönen dieses knapp
fünfminütige Musterbeispiel von einem zeitlos schönen Epic Pagan
Metal-Bilderbuch-Track.
„Wanderer im Nebelmeer“ kann erneut vollauf überzeugen, und abermals
schimmern hierbei eigenständig umgesetzte Querverweise an die stärksten
Momente von Falkenbach durch. In den vier Minuten Spieldauer schrauben
sich Hel mittels inbrünstiger und harmonischer Klargesänge voll purer
Hingabe in höchste spirituelle Höhen hinauf. Zauberhafte und bombastisch
anmutende Epik ist hier zu vernehmen, wie sie mystischer schwerlich
vorstellbar scheint. Ein absoluter und kultivierter Hochgenuss! „Komm
zurück“ prescht anschließend mit der Wucht von einem Rammbock vor,
rasant rhythmisiert sorgt die hohe Taktfrequenz für die nötige
Abwechslung auf dieser ganz und gar vorzüglichen Edelscheibe. Nach einer
ausbremsenden und bedächtigen Passage wird gar im besinnenden Rezitativ
poetischen Motiven gehuldigt, um nachfolgend wieder in mittleren Tempi
fesselnd zu operieren.
Das opulent angelegte Stück klingt mit ungemeiner Passion aus, nachdem
Hel das Tempo wieder strammer gestalten und eine weitere exquisite
Melodik geleitet mich in einem weiteren beglückend majestätischen
Ambiente aus „Komm zurück“ heraus. „Am Grunde der Unendlichkeit“ beginnt
zunächst mit labender Bedacht, eine Maultrommel assistiert in stimmiger
Manier den ersten Takten des Liedes. Dann erheben sich starke und
ebenso bestärkende Stimmen von Valdr und Skaldir neben köstlich
pfundigen Trommelschlägen. Zwei Stimmen, die sich deutlich über das
immer noch wahnsinnigere Treiben der destruktiven Spezies Homo Sapiens
mit nobel gesinnter Motivik hinwegsetzen. Auch die folgenden delikaten
Epic Pagan Metal-Leckerbissen „Wyrd“, „So Wahrheit, erkenne mich“, das
mit seinen drei Minuten eher kürzer gehaltene „Jagdnacht“, „Eroberer“
und des „Träumers Melodie“ schlagen in dieselbe Kerbe, welche von den
vorhergehenden Songs auf der Platte gehauen wurden.
Vor allem der zehnte Song „Eroberer“ kann mich dabei betören, und das
beileibe nicht durch seine effiziente hypnotische Attitüde. Die wirklich
berauschend stimmungsvolle Mammut-Komposition „Neun Gestade tiefer“
bringt dann abschließend kulminierend in ganzen zwölf (!) Minuten
Spieldauer die hochwertige Essenz dieser exzellenten
Hel-Veröffentlichung final zum Ausdruck. Atemberaubend vielfältig, reich
an durchdachter und beinahe schon gezielt progressiv einhergehender
Abwechslung ist hier alles enthalten, was die Musik von Hel schon seit
jeher auszeichnete. Akustik-Fragmente, gerührt machende Klargesänge,
obsessiv dargebotene Schwarzmetall-Anteile, bullige
Groll-Artikulationen, massive epische Nuancierungen bis hin zu
erlauchter symphonischer Noblesse führen mich hierin zu höchsten Wonnen.
Unglaublich.
Doch auch auf textlichem Terrain äußern sich die Nordrhein-Westfalen so
viel tiefgründiger und so viel selbstloser als der Großteil der Gilde es
überhaupt ansatzweise vermag. Kaum zu ermessen, wie viel veritables
Herzblut und wie viel an perfektionistisch ausgerichtetem Aufwand in
diesem neuen Zauberalbum steckt. Falsches Pathos? Fehlanzeige, und das
auf der ganzen Veröffentlichung! Denn „Das Atmen der Erde“ haben Hel in
aller erdenklichen künstlerischen Würde und vollauf ehrfürchtig vor der
Schönheit und der Vollkommenheit des Planeten in Klänge gefasst. Klänge,
die mir hier so nahe gehen, dass es sich glatt wie ein mystisches
Wunder anfühlt. Dafür lohnt es zu leben.
© Eckbert, 14.04.2012